Am 11. 03. 2020 wurde die Ausbreitung des SARS-CoV-2 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) offiziell zur Pandemie erklärt. Von einer solchen spricht man, wenn sich eine Krankheit nicht nur lokal, sondern länder- und sogar kontinentübergreifend verbreitet, etwa die SARS-Pandemie 2002/3, die Mexikanische Grippe in den Jahren 2009/10 (umgangssprachlich auch ‚Schweinegrippe‘ genannt) sowie diverse Influenza-Pandemien. Die sogenannte Corona-Krise ist also nicht die erste Pandemie in diesem Jahrtausend, wohl aber für viele die erste Seuche, die sie bewusst miterleben, da sie durch die Maßnahmen der einzelnen Regierungen massiven Einfluss auf das Alltagsleben hat. Ausgangssperren, Reisebeschränkungen, Betriebsschließungen und Versammlungsverbote – das öffentliche Leben steht im Frühjahr 2020 vielerorts still. Zeit, einen kleinen Blick in die Vergangenheit zur werfen, genauer gesagt ins 14. Jahrhundert:

Als verheerendste Pandemie gilt bis heute der als Schwarze Tod bekannte Ausbruch der Pest im Mittelalter, der zwischen 1347 und 1352 geschätzt ein Drittel der damaligen europäischen Bevölkerung das Leben kostete. Von Italien breitete sich die Seuche rasch auf dem gesamten Kontinent aus und wütete in Wellen noch mehrere Jahrhunderte später. Das Auftauchen und die fatalen Folgen der Erkrankungen schlugen sich schnell auch in der Fachliteratur der Zeit nieder: Bereits in den Jahren 1348-50 entstanden zahlreiche Schriften, die sich mit Ursache, Behandlungen und richtigem Verhalten in Bezug auf die Pest auseinandersetzten.

Chumbt ein ſterb in das landt
Dy puecher thuent vns das ſchier bekannt
So ſterben frawen vnd die man
Wer ſich nicht ebenn huetten kann
Peſtilents iſt der ſchelm genant
Manigem menſchen woll bekannt
Von vergiftem luft das enſpringt
Vnd den menſchen seer durchdringt
Drew hawbtlider das vergifften iſt

Universitätsbibliothek Graz, MS 1609, fol. 258r; Text auf Basis der Transliteration von Meoli (2009), S. 167.

Unter dem Titel Von der pestilents ein guete lere zeugt auch in einer Grazer Handschrift (MS 1609) ein im 15. Jahrhundert niedergeschriebener Text von den verzweifelten Versuchen, dieser Krankheit Herr zu werden und ihre Ausbreitung zu stoppen. Aus heutiger Sicht wissen wir, dass die Menschen des Mittelalters der Pest nahezu machtlos gegenüberstanden und die meisten Behandlungsmethoden gegen den Pesterreger wirkungslos waren – zu wenig wusste man damals über die Übertragung und Verlauf der Infektionskrankheit. Wenngleich also das zugrundeliegende medizinische Wissen längst als überholt gilt und uns viele Handlungsanweisungen und Erklärungsversuche der mittelalterlichen Gelehrten skurril erscheinen, gibt es doch die eine oder andere Überlegung aus alter Zeit, die auch heute noch durchaus ihre Berechtigung haben könnte, wenn es um die Erhaltung der Gesundheit, des Wohlbefindens und – bis zu einem gewissen Grad – den Schutz vor ansteckenden Krankheiten geht. Doch entscheidet selbst: Im Folgenden haben wir auf Basis des Grazer gereimten Pesttraktats zehn mittelalterliche Ratschläge zur Seuchenprophylaxe zusammengestellt.

Näheres zu dieser und weiteren deutschsprachigen Quellen zur Pest findet sich im Blogbeitrag „Deutschsprachige Pesttraktate – Volkssprachliche Ansätze zu Erklärung der Krankheit, Prophylaxe und Therapie“ von Wolfgang Holanik.

 

Zehn Ratschläge zum Schutz vor der Pest

1. Gebete

Die Dominanz der christlichen Religion war im europäischen Mittelalter in allen Lebensbereichen spürbar und prägte über viele Jahrhundert hinweg auch die Gedankenwelt der Wissenschaft – so ist nicht weiter verwunderlich, dass sich gleich der erste Ratschlag zum Schutz vor der Pest im Grazer Traktat auf ein gottesfürchtiges und frommes Leben bezieht.

Vnd das dw ſeyſt eines ſaligen leben
So will dir got geſunthaidt geben

Universitätsbibliothek Graz, MS 1609, fol. 259r; Text auf Basis der Transliteration von Meoli (2009), S. 169.

Es wird empfohlen, neben Gott selbst und der Jungfrau Maria vor allem den Heiligen Sebastian anzurufen, da dieser gewiss helfe. Letzterer wurde in der katholischen, evangelischen und orthodoxen Kirche verehrt und gilt bis heute als Schutzheiliger gegen Pest und andere Seuchen. Angeblich konnte im Jahr 680 im italienischen Pavia eine Pestepidemie gestoppt werden, nachdem man seine Reliquien durch die Straßen getragen hatte.

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Krankheiten wie die Pest wurden vielfach als Strafe Gottes verstanden. Wer ein gottesfürchtiges Leben führe, der würde vom Allmächtigen mit Gesundheit belohnt. Generell wäre es wichtig, darauf wird am Ende des Textes hingewiesen, Beichte und Buße nicht zu vernachlässigen, um eines Tages Aufnahme ins Himmelreich zu finden.

Aines ſoltu nit lan
Peicht und pueſs ſoltu geen vorann
So mit dw gottes huld habſt
So wirſtu ein erbelter gaſt
Jn dem ewigen hymelreich
Das gebs vns gott allen ewikleych. Amen.

Universitätsbibliothek Graz, MS 1609, fol. 264r-264v; Text auf Basis der Transliteration von Meoli (2009), S. 179f.

 

2. Räuchern

Dass es sich beim Pesterreger um ein Bakterium handelt, dass u.a. vom Rattenfloh auf den Menschen übertragen wird, war im Mittelalter noch nicht bekannt. Der zur damaligen Zeit verbreitetste Versuch, die Ausbreitung der Krankheit zu erklären, war die sogenannte Miasmentheorie, die davon ausging, dass die Pest durch giftige Dämpfe in der Luft in den menschlichen Körper gelangte.

Meyd den luft von meridian vnd occident
Empfach in von ſeptentrion vnd orient
Mit kranbitper vnd weirach ſpreng dein gluet
Vor poſem nebel luft du dich behuett
Mit ſenenbawm wachalter mach dein fewr
Das Jſt der zeyt indeinem haws gehewr

Universitätsbibliothek Graz, MS 1609, fol. 259r; Text auf Basis der Transliteration von Meoli (2009), S. 169.

Wie viele andere Schriften wird im Grazer gereimten Pesttraktat in diesem Zusammenhang vor gefährlichen Süd- und Westwinden gewarnt und empfohlen, das Haus mit Weihrauch, gemeinem Wacholder und Sadebaum (einer zweiten Wacholderart) zu räuchern, um sich vor den gefährlichen Dämpfen zu schützen. Weihrauch, Wacholder und Sadebaum galten gemäß der Humoralpathologie als warm und trocken, man sagte ihnen reinigende Wirkung nach sowie die Kraft, schädliche Körpersäfte und Fäulnis zu zersetzen. Hildegard von Bingen empfiehlt etwa den Sadebaum gegen Gift und faulige Säfte in der Lunge und schreibt ihm die Eigenschaft zu, durch seine Hitze Würmer abzutöten. Alle drei Heilmittel werden in medizinischen Schriften des Mittelalters nicht nur als Räucherwerk, sondern auch als Bestandteil oral einzunehmender Medikamente (Tränke, Pillen) und äußerlich anzuwendender Arzneien (Umschläge, Pflaster) erwähnt.

 

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Wenngleich die Miasmentheorie aus heutiger Sicht Unsinn ist, führte sie nicht nur zu wohlriechenden Häusern, sondern durchaus auch zu sinnvollen Maßnahmen: Um sich vor giftigen Ausdünstungen Erkrankter und Verstorbener zu schützen, empfahl man den Menschen, sich soweit wie möglich vom Ort des Krankheitsausbruchs zu entfernen und stellte vielerorts Häuser oder ganze Stadtviertel unter Quarantäne, was tatsächlich zu einer Eindämmung der Seuche beitrug.

 

3. Waschen

Auch wenn die mittelalterliche Medizin noch weit von dem entfernt war, was wir heute unter ‚Desinfektion‘ und ‚antiseptischer Arbeitsweise‘ verstehen, wurde auch und gerade in Seuchenzeiten viel Wert auf Hygiene gelegt.

Mit eſſich wasch hennt mund vnd angeſicht
Schlind ſein ein wenig des vergis nicht

Universitätsbibliothek Graz, MS 1609, fol. 259r; Text auf Basis der Transliteration von Meoli (2009), S. 169.

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Unser Text empfiehlt hier unter anderem Hände, Mund und Gesicht mit Essig zu waschen. Ähnliches findet sich im Sinn der höchsten Meister von Paris, hier wird zusätzlich geraten, dem Essig auch noch ein wenig Theriak beizumengen.

Du solt, so prist es auf, all morgen, ee du auf stest waschen vnder den augen mit esseich vnd ein wenig driachkers darinn sey zergangen vnd hútt dich, das es dir nicht in die augen chóm.

Wolfgang Holanik, Ylva Schwinghammer: Lernerorientierte Teiledition und Übersetzung des ‚Admonter Bartholomäus‘ auf Basis der dynamischen Lesefassung von Anna Tesch. Graz 2018.

Auch Wirsungs Artzney Buch aus dem 16. Jahrhundert wird die besondere Bedeutung von Reinlichkeit in Zeiten der Pest betont: Neben der Körperhygiene sollte auch auf ein sauberes Umfeld geachtet werden und etwa Wohnräume täglich gesäubert und mit Essig- sowie Rosenwasser besprengt werden.

Regelmäßiges Schwitzen im Badezuber galt als förderlich. Öffentliche Badestuben sollten allerdings gemieden werden – sie standen im Ruf, zu unkeuschen Handlungen zu verleiten. Für jene, die nicht gerne baden, hat der Autor des Grazer Textes einen speziellen Tipp parat: Sie sollen sich ein bis zwei Mal die Woche die Füße und Beine mit Wasser waschen, in dem zuvor Kamillen, Rosen oder Weiden gekocht wurden.

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Das Waschen mit Rosenwasser wird insgesamt dreimal erwähnt: Es galt nicht nur als reinigend und kühlend, ihm wurde auch eine positive Wirkung auf die Stimmung attestiert. Um diese wusste auch Hildegard von Bingen, die im 12. Jahrhundert empfahl, Rosenduft gegen Zornanfälle einzusetzen. Im etwa zeitgleich entstandenen lateinischen Circa Instans, das als erste große Drogenkunde des Abendlandes gilt, findet sich der Hinweis, dass getrocknete Rosenblütenblätter, vor die Nase gehalten, das Hirn stärken und die geschwächten Lebensgeister wiederbringen können. Auch Konrads von Megenberg Buch der Natur weiß um die stärkende, kühlende, zusammenziehende und stimmungsaufhellende Wirkung von Rosenwasser. Zusätzlich wird hier eine weitere wesentliche Komponente sichtbar, nämlich die symbolische Kraft der Rose, die mit der Mutter Gottes gleichgesetzt wurde:

In diese Welt ist unsere liebe Frau hineingepflanzt wie ein blütenreicher Rosenstock, der seinen Duft weithin von sich ausgehen lässt, voller Milde und Gnade. Aus diesen edelen Rosen sollen wir armen Sünder uns Rosenhonig, Rosenzucker, Rosenöl, Rosensyrup und Rosenwasser bereiten mit dem Honig unserer festen Zuversicht, dem Zucker unserer innigen Liebe, dem Oel des christlichen Glaubens, dem Ausüben guter Werke und dem Ausbrennen in rechter Beichte und völliger Reue gegen alle die Krankheiten, Angst und Noth, die uns Leib und Seele bedrohen.

Das Buch der Natur von Conrad von Megenberg. Die erste Naturgeschichte in deutscher Sprache. In Neu-Hochdeutscher Sprache bearbeitet und mit Anmerkungen versehen von Hugo Schulz. Greifswald: Abel 1897. S. 296f.

 

4. Kräuter und Gewürze

Bestimmten Gewürzen und Kräutern wurde nachgesagt, vor der Pest schützen zu können. So empfiehlt unser Grazer Text, Zitwerwurzel und Blutwurz zu kauen und aromatische Kräuter und Gewürze in der Hand zu tragen.

Guete krewter ſoltu habnenn
Taglich inder hanndt zetragen
Die wol ruechen vnd ſchmecken ſein
Wann sy behuetten vor der giffte pein
Wildw peſſer habnn dar
So nuts denn apfel ambra
Von manigem ſtuck iſt er beraitt
Eer iſt guet wer in pey Jm kaitt

Universitätsbibliothek Graz, MS 1609, fol. 259r-259v; Text auf Basis der Transliteration von Meoli (2009), S. 169f.

Unser Text erwähnt in diesem Zusammenhang zudem die Verwendung eines Riechapfels, gibt aber kein konkretes Rezept dazu an. Beim „Apfel Ambra“, auch Bisamapfel genannt, handelt es sich um einen kleinen, oft aufwändig verzierten Duftbehälter, der in der Hand aber beispielsweise auch als Amulett getragen werden konnte. Man erhoffte sich neben allerlei Heilwirkungen durch die aufsteigenden Düfte auch einen Schutz gegen die giftigen ‚Pestdämpfe‘. Je nach Stand und finanziellen Mitteln wurde der Riechapfel mit kostbarem Moschus und Ambra, aber auch mit wesentlich günstigerem Laudanum gefüllt. Zusätzlich konnten stark riechende Harze, Hölzer, Gewürze und Blüten verwendet werden. Das Arztney Buch von Wirsung aus dem 16. Jahrhundert nennt beispielsweise Weihrauch, Sandelholz, Kampfer, Zimt, Nelken, Koriander, Muskatblüten, Rosen und Lavendel als mögliche Beigaben zum Schutz vor der Pest.

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Eine einheimische und vermutlich für weite Teile der Bevölkerung einfach zu beschaffende Möglichkeit des Pestschutzes stellt – glaubt man dem Verfasser des Textes – Sauerampfer dar. Er berichtet von einem Hausherrn, bei dem das Kraut offenbar regelmäßig verzehrt wurde und in der Folge kein Mensch im Haus an der Pest erkrankte.

 

5. Essen und Trinken

Von richtigem Essen und Trinken erhoffte man sich eine Schutzwirkung vor der Seuche. Unser Text liefert gleich eine ganz Reihe von diätetischen Ratschlägen. Er beginnt mit dem Hinweis auf maßvolle Nahrungsaufnahme: Man solle weder unter Hunger und Durst leiden, noch zu schwer essen oder zu viel trinken. Wie in anderen Pesttraktaten, etwa dem Sinn der Meister von Paris wird auch hier darauf hingewiesen, dass man seinen Speisen Essig beimengen soll:

Hunger vnd durſt ſoltu nit leiden
Vbrige fúll iſt auch zemeiden
Grobe koſt ſoltu laſſenn
Vil trinken ſoltu dich maſſen
Dy ſpeis iſt zue eſſen guet
Dy da macht ein guets pluet
Auch laſs dich nit verdrieſſenn
Dein ſpeis ſoltu mit eſſich begieſſen

Universitätsbibliothek Graz, MS 1609, fol. 259r-259v; Text auf Basis der Transliteration von Meoli (2009), S. 169f.

 

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Eine Erläuterung dazu findet sich in Wirsungs Arztney Buch: Um sich vor der Pest zu schützen, galt es übermäßige Ansammlungen von Feuchtigkeit und Schleim zu vermeiden. Da sowohl der zu sehr gefüllte als auch der leere Magen nach damaliger Vorstellung zu Schleimbildung neigten, kam dem richtigen Maß an Nahrungsaufnahme in Seuchenzeiten noch einmal besondere Bedeutung zu. Aus demselben Grund sollten trockene und kühle Speisen feuchten und warmen vorgezogen werden. Essig galt in der Humoralpathologie gemeinhin als kalt und trocken, weshalb man sich durch seine Zugabe erhoffte, die Qualitäten der Speisen entsprechend zu beeinflussen – diese also zu kühlen und zu trocknen.

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In diesem Kontext sind auch die weiteren diätetischen Ratschläge im Grazer gereimten Pesttraktat zu sehen: Feigen sagte man etwa nach, die Feuchtigkeit im Körper zu binden und durch den Bratvorgang sollte Fleisch im Gegensatz zum Kochen im Wasser ‚getrocknet‘ werden, wohingegen die zu meidenden Fische als besonders feucht und schleimig galten:
• am Morgen nach dem Aufstehen zwei Feigen und Rautenblätter essen
• gebratenes Fleisch gekochtem Fleisch vorziehen
• Schweinefleisch, Obst, Milch, Fisch und in der Pfanne Gebackenes meiden
• Starken Wein verdünnen (1 Teil Wasser auf 5 Teile Wein)

Als Beispiel für eine empfehlenswerte und seitens der Gelehrten unbedenkliche Speise nennt der Text gekochte Linsen mit gutem Essig.

Linſen mit guetem eſſich geſoten
Seind dir von den maiſtern nit verpoten

Universitätsbibliothek Graz, MS 1609, fol. 260r; Text auf Basis der Transliteration von Meoli (2009), S. 172

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Ein passendes Rezept für süßsaure Linsen aus dem 15. Jahrhundert lässt sich im Púch von den chósten aus der Münchner Handschrift Cgm. 415 finden: Die Hülsenfrüchte werden weichgekocht und anschließend mit Essig, Zucker oder Honig, Koriander, Sesamöl und Salz abgeschmeckt.

Adetia naigit zu der cheltt und lesscht die schérff des plúts und wirt also: nim awzzgeschéltew linsen und sewt sie mit waßer, uncz daz sie zugeen oder waich werden, und tú darauf ain halb pfunt ezzeich und weizzes czukchers oder hónigs ain halb pfunt und ain wenig coriander und ain wenig óls sisamini, daz ist von unczeittigen ólpern, und salcz und koch ez und gib daz.

München, BSB, Cgm 415, fol. 2r. Text nach: Schwinghammer, Ylva; Holanik, Wolfgang; Hofmeister-Winter, Andrea; Glänzer, Lisa: Speisen auf Reisen. Das frühneuhochdeutsche Púch von den chósten und seine Wurzeln im lateinischen Liber de ferculis und im arabischen Minhādj al-bayān. Edition – Übersetzung – Kommentar. Graz: unipress-Verlag 2019. S. 90.

 

6. Aderlass

Einen im Vergleich zu ähnlichen Texten geringen Stellenwert nimmt im Grazer gereimten Pesttraktat der Aderlass ein, er wird lediglich einmal kurz erwähnt:

Dw ſolt dich auch halten in ſolcher maſſenn
Mer dann ainſten ſoltu ader laſſen

Universitätsbibliothek Graz, MS 1609, fol. 259r-259v; Text auf Basis der Transliteration von Meoli (2009), S. 169f.

Aderlass wird in medizinischen Schriften des Mittelalters und der Frühen Neuzeit sowohl als Präventivmaßnahme als auch als Behandlung gegen die Pest empfohlen. Texte, wie der Sinn der Meister von Paris oder der Pesttraktat des Jakob Englein von Ulm, geben detaillierte Anleitungen, welche Adern bei Auftreten der ersten Pestanzeichen geöffnet werden sollen. Generell ging es darum, bei beginnender Erkrankung das vergiftete Blut so schnell wie möglich aus dem Körper zu entfernen. Dies musste zwingend in einem bestimmten Zeitraum geschehen:

Sobald bei einem Menschen Zeichen sichtbar werden,
soll er zur Ader gelassen werden,
noch ehe 11 Stunden vergangen sind.
Denn nach einem natürlichen Tag,
das ist nach 24 Stunden,
ist die Krankheit vollständig ausgebrochen
und dann hilft weder Arznei noch Heilkunst,
weil der Mensch dann an der Krankheit sterben wird.

Text nach: Wolfgang Holanik, Ylva Schwinghammer: Lernerorientierte Teiledition und Übersetzung des ‚Admonter Bartholomäus‘ auf Basis der dynamischen Lesefassung von Anna Tesch. Graz 2018.

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Der vorbeugende Aderlass in Pestzeiten verfolgte in erster Linie das Ziel, überschüssiges Blut und damit überschüssige Flüssigkeit loszuwerden (wir erinnern uns an die Hinweise zur Ernährung). So sollte auch Verstopfungen von Milz und Leber vorbeugt werden, die nach damaliger Vorstellung anfällig für ein Erkranken an der Pest machten.

 

7. Pestpillen, Theriak und andere Wundermittel

Neben Theriak, dem Universalheilmittel des Mittelalters, kursierten in Pestzeiten noch allerlei andere Wundermittelchen, die in Form von Tränken, Pillen und Pulvern vor einer Ansteckung schützen sollten. Auch der Grazer gereimte Pesttraktat nennt einige Rezepte für solche Präparate, zum Beispiel für pillulas vite, die „Pillen des Lebens“:

Außerdem empfehle ich dir, jede Woche die Pillen des Lebens einzunehmen: Davon solltest du sieben bis neun Stück in der Nacht schlucken, weil sie dir großes Glück bringen. Das wird uns von allen alten Meistern empfohlen. Um diese Pille zuzubereiten, musst du die oben genannten Zutaten verwenden: Nimm 2 Lot Aloe, 1 Lot roter Myrrhe und genau soviel Safran. Stampfe die Zutaten zu einem feinen Pulver und gieße einen guten Weißwein darüber. Aus diesem Präparat bereite einen harten Teig zu, womit du kleine Kugeln machst, die so groß wie Erbsen sind. Jeden Tag am Morgen nimm eine dieser Pillen: Sie sind köstlich und machen dich wieder gesund.

Universitätsbibliothek Graz, MS 1609, fol. 259r-259v; Text auf Basis der Transliteration von Meoli (2009), S. 169f.

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Andere Schriften empfehlen Medikationen, die bei ersten Krankheitsanzeichen angewandt werden sollten, um das Unglück eventuell noch abzuwenden. Mitunter kam hierbei auch die sogenannte ‚Dreckapotheke‘ zum Einsatz, wie etwa im Sinn der Meister von Paris:

Wem Zeichen erscheinen, der nehme seinen eigenen Kot und Holunderblüten, mische das miteinander, lege es darauf und hüte sich vor übermäßigen Essen und Trinken.
Wenn sie dir erscheinen, dann nimm Raute und Wermut und schwarze Nieswurz, von einem so viel wie vom anderen, gut zerstoßen in Wein und Essig und deinen eigenen Kot und leg es darauf.

Text nach: Wolfgang Holanik, Ylva Schwinghammer: Lernerorientierte Teiledition und Übersetzung des ‚Admonter Bartholomäus‘ auf Basis der dynamischen Lesefassung von Anna Tesch. Graz 2018.

 

8. Schlaf und Arbeit – aber in Maßen

Nicht nur die richtige Ernährung, auch ein ausgewogenes Verhältnis von Arbeits- und Ruhephasen galt in Hinblick auf die Gesunderhaltung als förderlich. Als Faustregel gibt der Grazer Text an, man solle nicht länger schlafen, als man wach ist und Tagschlaf vermeiden:

Dw ſolt nit mer ſchlaffen dann wachenn
[…]
jſt es an dir nit ein gebanhaitt alt
Sofleuch den ſchlaff ym tag mit gewalt.

Universitätsbibliothek Graz, MS 1609, fol. 260r; Text auf Basis der Transliteration von Meoli (2009), S.171f.

Während potenziell Erkrankten oder Gefährdeten häufig eine Schwitzkur verordnet wurde, um die vergiftete Materie aus dem Körper zu entfernen, sollte Gesunde darauf achten, sich körperlich nicht zu sehr anzustrengen:

Du sollst auch nicht unbeschäftigt sein, sondern du solltest etwas Arbeit mit Leib und Verstand tun. Deine Arbeit soll allerdings leicht sein, damit du nicht schwitzt: Durch schwere Arbeit machen sich nämlich die Hautporen auf und so kommt jene vergiftete Luft zum Herzen, die die Menschen krank macht. Nun versuche ein friedliches Leben zu führen, sei fleißig und habe Freude zu Hause, sodass du immer den Frieden genießen kannst.

Universitätsbibliothek Graz, MS 1609, fol. 263r; Text auf Basis der Paraphrase von Meoli (2009), S. 186f.

 

9. Erkrankte meiden

Nun hor den rat den man dir geytt
Fleuch verr dauon vnd thues pey der zeytt

Universitätsbibliothek Graz, MS 1609, fol. 259r-259v; Text auf Basis der Transliteration von Meoli (2009), S. 262v.

„Fliehe so schnell, wie du kannst!“, so lautet sinngemäß der eindringlichste und wohl auch wirksamste Rat, den unser Grazer Text gibt. Auf den folgenden Blättern wiederholt der Verfasser noch zwei Mal die Aufforderung zur Flucht und präzisiert:

Auch wenn Fliehen ein sicheres Heilmittel ist, nur wenige halten sich daran. Fliehe von dem Ort und vom Kranken, von seinem Rock und seiner Kleidung, von dem, was er besitzt und vom Zimmer, wo er gelegen ist, und lasse 6 Monate vergehen, bevor du zurückkehrst.

Universitätsbibliothek Graz, MS 1609, fol. 263r; Text auf Basis der Paraphrase von Meoli (2009), S. 185.

Zum Schluss solltest du dir noch Folgendes merken: Wenn die Pest dich und deine ganze Umgebung betrifft, fahre sofort weg! Nachdem du schnell entlaufen bist, raste dich zwei Stunden aus, aber schlafe nicht ein, bevor 12 Stunden vergangen sind. Dann nimm das Pulver ein, weil es nicht schadet.

Universitätsbibliothek Graz, MS 1609, fol. 263v; Text auf Basis der Paraphrase von Meoli (2009), S. 186.

 

10. Positiv denken

In einem gesunden Körper wohnt ein gesunder Geist – das wussten bereits die Menschen des Mittelalters, weshalb etliche Ratschläge in unserem Text auf die Erhaltung einer positiven Grundstimmung abzielen.

Huett dich vor trwryckaitt
Wann ſy macht den menſchen gar verzaytt

Universitätsbibliothek Graz, MS 1609, fol. 261r; Text auf Basis der Transliteration von Meoli (2009), S.174.

Um Trauer, Zorn und Missmut fernzuhalten, wird an zwei Stellen im Text Rosenwasser empfohlen, mit dem man sich morgens waschen soll:

Fleuch trawn zorn vnd vnmuet
Waſch dich zu morgnn mit roſen waſſer dz
Piſs in deinem muet zemaſſen frolich iſt auch gut

Universitätsbibliothek Graz, MS 1609, fol. 260v; Text auf Basis der Transliteration von Meoli (2009), S.173.

Auch maßvolle Arbeit würde dazu beitragen, negative Stimmungen zu vermeiden, da zu langer Müßiggang für Körper und Geist quälend sein könne.

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Fazit – Alles eine Frage des Gleichgewichts

Abgesehen von Gebeten, konkreten Pest-Medikationen (hier vor allem zur Prophylaxe einer Ansteckung bzw. eines Ausbruchs der Krankheit) sowie dem Ratschlag, der Pest nach Möglichkeit zu entfliehen, setzt der Grazer gereimte Pesttraktat vor allem auf ein ausgeglichenes Verhältnis der sex res non naturales:

• Licht und Luft
• Speise und Trank
• Ruhe und Bewegung
• Schlafen und Wachen
• Aufnahme und Ausscheidungen
• Gemütszustände

In Zeiten des physischen und psychischen Ausnahmezustandes, in dem sich die Menschen während der Pestpandemie befanden, maß man einer Balance innerhalb dieser Modi des menschlichen Daseins ganz besondere Bedeutung zu – in der Hoffnung, für sich und seine Lieben ein friedvolles und gesundes Leben bewahren zu können.

Nun furbas ſoltu merckn ebnn
Das dw habſt ein fridelichs leben
Embſig sey mit frewd in deinem haws
Frue vnd spadt in frides khawfs.

Universitätsbibliothek Graz, MS 1609, fol. 263r; Text auf Basis der Transliteration von Meoli (2009), S. 178.

 

Verfasserin: Ylva Schwinghammer

 

Quellen

Handschriften

Graz, Universitätsbibliothek, Ms. 1609

Bilder

Alle Fotos: (c)Ylva Schwinghammer

Literatur

Feyl, Anita: Das Kochbuch Meister Eberhards. Ein Beitrag zur altdeutschen Fachliteratur. Freiburg im Breisgau: Univ. Diss. 1963.

Holanik, Wolfgang; Schwinghammer, Ylva: Lernerorientierte Teiledition und Übersetzung des ‚Admonter Bartholomäus‘ auf Basis der dynamischen Lesefassung von Anna Tesch. Unter Mitwirkung von Lisa Glänzer, Stefan Hofbauer Philipp Pfeifer, Magdalena Laura Halb, Johanna Damberger, Sabrina Bamberger sowie den Schüler/innen des BG/BRG Knittelfeld. Graz 2018. Online unter: https://gams.uni-graz.at/o:lima.4 [abgerufen am 23.03.2020].

Holanik, Wolfgang: Die Handschrift UBG Ms. 1609. Online unter: https://nahrhaftesmittelalter.com/2018/10/10/die-handschrift-ubg-ms-1609/ [abgerufen am 23.03.2020].

Holanik, Wolfgang: Das púch von den chósten. Online unter: https://nahrhaftesmittelalter.com/2017/12/28/das-puch-von-den-chosten/ [abgerufen am 23.03.2020].

Goehl, Konrad: Das Circa Instans. Die erste große Drogenkunde des Abendlandes, Baden-Baden 2015.

Konrad von Megenberg. Das Buch der Natur: die erste Naturgeschichte in deutscher Sprache. Hrsg. von Franz Pfeiffer. Stuttgart: Aue 1861
Übersetzung: Das Buch der Natur von Conrad von Megenberg. Die erste Naturgeschichte in deutscher Sprache. In Neu-Hochdeutscher Sprache bearbeitet und mit Anmerkungen versehen von Hugo Schulz. Greifswald: Abel 1897

Meoli, Francesca: Der gereimte Pesttraktat in der Grazer Handschrift UBG, MS 1609. Erstedition, Paraphrase, Kommentar. Graz: Univ., MA-Arb. 2009.

Riha, Ortrun: Hildegard von Bingen: Heilsame Schöpfung – Die natürliche Wirkkraft der Dinge. , Rüdesheim/Eibingen 2016.

Schäfer, Joachim: Sebastian. In: Ökumenisches Heiligenlexikon. Online unter: https://www.heiligenlexikon.de/BiographienS/Sebastian.htm [abgerufen am 21.03.2020].

Schwinghammer, Ylva; Holanik, Wolfgang; Hofmeister-Winter, Andrea; Glänzer, Lisa: Speisen auf Reisen. Das frühneuhochdeutsche Púch von den chósten und seine Wurzeln im lateinischen Liber de ferculis und im arabischen Minhādj al-bayān. Edition –

Übersetzung – Kommentar. Graz: unipress-Verlag 2019. (=Grazer mediävistische Schriften: Quellen und Studien 2)

Wirsung, Christoph: Arztney Buch. Heidelberg 1568. S. 574ff.

Sebastian (Heiliger). Online unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Sebastian_(Heiliger) [abgerufen am 21.03.2020].

 

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