Ab Ende des 12. Jahrhunderts finden wir im deutschsprachigen Raum Überlieferungen eines Medizinbuchs, das unter dem Namen Bartholomäus auftritt. Der Name weist auf den Arzt Bartholomäus Salernitanus hin, der im süditalienischen Salerno tätig war. Allerdings ist dieser Bartholomäus Salernitanus nicht der Verfasser unseres Arzneibuchs, es ist auch keine Übersetzung einer seiner Schriften. Der Verfasser ist unbekannt.

Im Prolog zum Arzneibuch stellt sich dieses jedoch als Übersetzung einer lateinischen Schrift mit dem Titel Introductiones et experimenta Magistri wartholomei in prachktica ypocratis et Galienis et Constantini medicorum grecorum vor. Diese lateinische Schrift, deren Titel übersetzt „Einführungen und praktische Anwendungen des Meisters Bartholomäus in der Tradition des Hippokrates, des Galen und des griechischen Arztes Constantinus Africanus“ bedeutet, basiere laut dem Prolog des Bartholomäus auf einer griechischen Schrift mit dem Namen Practica:

Das puech tichtet ein Maister, der hies wartholomeus. Das nam er aus ainem kriechischen puech, das haisst prachktica. Das ist dauchscz getichtet, mit den selben worten, also es der Maister wartholomeus in latein an seinem puech gesczt hat.

Admonter Bartholomäus, fol. 1r
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Admont, Stiftsbibliothek, Cod. 329, fol. 1r. Beginn des „Admonter Bartholomäus“

Obwohl diese relativ ausführliche Quellenangabe am Beginn der Bartholomäus-Handschriften steht, konnte bisher keine direkte Vorlage gefunden werden. Einzelne lateinische Rezepte konnten jedoch mit dem Rezeptbestandteil des Bartholomäus in Verbindung gebracht werden. Mit Sicherheit lässt sich feststellen, dass der Verfasser oder Kompilator des Bartholomäus einen guten Überblick über das (hauptsächlich lateinische) medizinische Fachschrifttum hatte und eine besondere Begabung zur Zusammenstellung der Textteile und zur Straffung der Texte hatte. Viele Textteile aus dem Bartholomäus wurden aus dem Gesamttext im Laufe der Zeit herausgelöst und einzeln überliefert, sodass wir heute über 300 Handschriften kennen, in denen sich Teile aus der Bartholomäus-Tradition befinden.

Woher stammt der Bartholomäus?

Die älteste heute bekannte Handschrift wird an der Universität Oxford aufbewahrt. Es handelt sich dabei nur um Bruchstücke des Textes, die vermutlich im 12. Jh. in Kärnten entstanden. Die älteste erhaltene Handschrift muss aber nicht unbedingt die erste gewesen sein. Der Medizinhistoriker Gundolf Keil gibt den mitteldeutschen Raum als Ursprungsort an und auch der Herausgeber des Kärntner Fragments, Robert Priebsch, schließt nicht aus, dass die Abschrift von einem mitteldeutschen Mönch in Kärnten angefertigt worden sein könnte.

Die Rezepte und Anweisungen des Bartholomäus stammen aus zwei großen Bereichen: Ein Teil der Anweisungen geht auf die „Schule von Salerno“ zurück. Darunter versteht man die Arbeiten von Gelehrten im süditalienischen Salerno aus dem 11. und 12. Jh. Dort wurde das medizinische Schrifttum gesammelt, erweitert und systematisiert. Neben den Salerner Schriften – wie beispielsweise dem Corpus Constantini – kommen auch aus der frühmittelalterlichen Rezeptliteratur Teile in den Bartholomäus. Als Quellen konnten bisher Plinius, Marcellus Empiricus, Sextus Placitus, Pseudo-Priscian, Pseudo-Apuleius und Pseudo-Petrocellus nachgewiesen werden.

Stiftsbibliothek Admont. (Bild von User „Rollroboter“, CC-BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=56811020)

 

Die Admonter Überlieferung und ihre Bestandteile

Im Benediktinerkloster Admont in der Steiermark beherbergt die bekannte Klosterbibliothek den Codex 329, eine Bartholomäus-Abschrift, die wir als Admonter Bartholomäus bezeichnen. Die Abschrift ist im selben Codex wie das Arzneibuch Ortolfs von Baierland überliefert. Ortolfs Text löste den Bartholomäus um 1400 als wichtigstes deutschsprachiges Arzneibuch ab. Der Admonter Bartholomäus ist eine Abschrift aus dem 15. Jh. und im bairisch-österreichischen Dialekt geschrieben. Der Schreiber der Handschrift weist eine regelmäßige Schrift auf, d.h. er dürfte häufig und routiniert geschrieben haben. Es ist unklar, ob im Admonter Bartholomäus verschiedene Vorlagen vereinigt wurden oder ein bereits vorhandenes Sammelwerk zur Gänze abgeschrieben wurde.

Zum Aufbau des Admonter Bartholomäus

Nach der kurzen Einleitung, die oben bereits besprochen wurde, folgt im „Admonter Bartholomäus“ die Komplexionenlehre: Im Mittelalter ging man – der antiken Tradition folgend – davon aus, dass sich der menschliche Körper aus den vier Körpersäften Blut, Schleim, schwarze und gelbe Galle zusammensetze. Diese vier ‚Säfte‘ müssen im Körper in einem bestimmten (individuellen) Mischverhältnis zueinander stehen, damit der Mensch gesund ist. Den Säften wurden die vier Primärqualitäten trocken, feucht, heiß und kalt je paarweise zugeordnet. Diese Primärqualitäten wurden auch sämtlichen Lebensmitteln, Pflanzen, Zubereitungsarten von Speisen etc. zugeordnet – auf diese Weise konnte der Heilkundige die Therapie auf die individuelle Säftemischung des Patienten abstimmen.

Nach dieser allgemeinen Einführung zum Aufbau des Körpers folgt ein Harntraktat: In diesem Text wird beschrieben, wie man den menschlichen Harn zu Diagnosezwecken nutzen könne. Dabei werden sowohl die Rahmenbedingungen als auch die Beschaffenheit des Harns beschrieben:

Wer den harm recht schawen wil / Der nem ein weiss glas vas / das lautter sey / vnd oben enger den vnden. / Er schol auch den harm nicht vachen / vncz der mensch geslaff des nachtes. / Wann der harn gewinnet / nymmer recht varb vncz nach mitter nacht. / Das glas vas schol man bedechken / Vnd schol denn den harn schawen / So die sunn auf get / Oder vmb mitten tag.

Admonter Bartholomäus, fol. 1v

Zu den Rahmenbedingungen gehört beispielsweise die richtige Uhrzeit für die Entnahme des Urins oder die sachgerechte Aufbewahrung des Harns. Die Diagnose erfolgte anhand von Farbe und Konsistenz des Harns. Der Harntraktat ist der einzige Text im Bestand des Bartholomäus, der direkt aus einer Salerner Vorlage – der Uroskopie des Maurus – übernommen wurde. Die Harnschau war das charakteristische Diagnoseinstrument des gelehrten Arztes. In vielen mittelalterlichen Handschriften werden Ärzte mit dem Diagnoseglas in der Hand abgebildet. In der Heidelberger Handschrift Cod. Pal. germ. 644 aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wird der Harntraktat (mit abweichendem Wortlaut) durchgehend durch Ärzte mit Harngefäßen, in denen der beschriebene Harn abgebildet ist, illustriert.

Ein illustrierter „Bartholomäus“-Harntraktat in der Heidelberger Handschrift Cod. Pal. germ. 644, fol. 94v.

Auf den Harntraktat folgen allgemeine Rezepte, die bei verschiedenen Krankheiten Linderung oder Heilung versprechen. Wie in den meisten mittelalterlichen Arzneibüchern ist auch der Bartholomäus a capite ad calcem“ (vom Kopf bis zur Ferse) angeordnet. Die Rezepte beginnen daher mit Beschwerden des Kopfs, der Augen, der Nase und der Ohren. Daneben finden wir aber auch Antworten auf gynäkologische Fragen (z.B. halbmagische Formen der Pränataldiagnostik, die das Geschlecht des Kindes verraten sollen) sowie Salben für Rezepte, Pflaster und Tränke.

So das weib vil schón vnd eben stet / So sew dann beginnet / gen / so tue war / welhen fuezz si erst erheb / erhebt si den rechten fuezz / So tregt si ainn degen chind / hebt si den tenchken / So tregt si ein maget.

Admonter Bartholomäus, fol. 5r
Admont, Stiftsbibliothek, Cod. 329, fol. 5r.

Neben dem allgemeinen Rezeptar finden wir in der Bartholomäus-Tradition eine variierende Anzahl von Traktaten. Das sind in sich geschlossene Textteile zu einem bestimmten Thema, die häufig auch außerhalb des Textverbandes als Einzeltexte überliefert wurden. Neben dem Harntraktat beinhaltet der Admonter Bartholomäus weitere Traktate, die im Verbund mit dem Bartholomäus üblicherweise überliefert werden:

SAnd Ieronimus vand in dem chaldayschem puech / von maniger ercznei, die an dem vogelein ist / vnd vand von dem geyr / grossew erczney.

Admonter Bartholomäus, fol. 10r

Im Geiertraktat, dessen Inhalt im Text auf den heiligen Hieronymus zurückgeführt wird, werden die Bestandteile des Vogels für verschiedene medizinische Zwecke herangezogen.

So galt beispielsweise das Hirn des Geiers als verstärkendes Mittel für verschiedene Arzneien, das Geierfleisch sollte gegen Tollwut schützen, die Geiergalle war der Hauptbestandteil einer Augensalbe und die Füße des Geiers sollten Rückenleiden lindern.

Das Verfahren der Destillation ist im 13. Jahrhundert aus dem arabischen Raum nach Europa gekommen. Im Branntweintraktat werden die guten Eigenschaften des Branntweins aufgezählt. Unter anderem nutzte man ihn bei Gliederlähmung, zur Wunddesinfektion, für Schönheitskuren oder bei Husten. Die Herstellung des Branntweins wird im Admonter Bartholomäus ebenfalls kurz beschrieben, jedoch an einer anderen Stelle außerhalb des eigentlichen Branntweintraktats.

Zu den Wunderdrogentraktaten zählt man den Verbenatraktat. Das Eisenkraut wurde in eine Vielzahl latent magischer Praktiken eingebunden: Man musste die Wurzel zu einer bestimmten Zeit ausgraben, sie segnen (lassen) und konnte sie zu verschiedenen Zwecken anwenden: Sie sollte zum Beispiel dafür sorgen, dass Kindern die Glieder nicht verkrüppeln, man ohne Albträume in Ruhe schlafen konnte oder ein Pferd auf Fernreisen nicht erlahme. Mit Verweis auf das Kräuterbuch „Macer floridus“ schreibt der „Admonter Bartholomäus“ von einem Arzt „Mater“, der der Verbena so viele Einsatzmöglichkeiten wie die Wurzel Zweige hervorbringe, zuschrieb:

Mater verstent das in seinem puech / Das verbena als manig tugent hab. Als manig / zwey an der selben wurczen sey.

Admonter Bartholomäus, fol. 8v-9r.

Pflanzenprodukte stehen auch in den Gewürztraktaten jeweils im Mittelpunkt: Im „Admonter Bartholomäus“ werden Galgant, Ingwer und Muskat näher beschrieben. Ein weiterer Gewürztraktat stellt den Spiconardus vor, zu dem wir hier eine kleine Untersuchung vorgestellt haben. Die Gewürztraktate erinnern an Pflanzenmonographien in Kräuterbüchern: Nachdem die Primärqualitäten der Pflanze genannt worden sind, werden ihre verschiedenen positiven Eigenschaften hervorgehoben: So sollte man Galgant zum Beispiel zur Mundhygiene verwenden, Ingwer säubere die Brust, Muskat helfe bei Kopfschmerzen nach Alkoholgenuss und Spiconardus beschleunige u.a. die Geburt.

Im Admonter Bartholomäus finden wir auch noch zwei Pesttraktate, die nicht aus dem ursprünglichen Bestand der Bartholomäus-Tradition stammen. An ihnen können wir erkennen, dass der Textbestand mit wechselnden Herausforderungen angepasst und somit in der Zeit nach dem ersten Auftreten des Schwarzen Tods in Mitteleuropa (1347/48) um Möglichkeiten der Pestprävention und -therapie erweitert wurde. Zum einen finden wir im Admonter Bartholomäus den Traktat Also das ein mensch zeichen gewun des Jakob Engelin von Ulm, zum anderen eine Anleitung zum Aderlassen, die eine Kompilation aus dem Sinn der höchsten Meister von Paris sowie dem Pestbrief an die Frau von Plauen darstellt. Näheres zu den deutschsprachigen Pesttraktaten findet ihr hier.

Nach ausführlichen Anleitungen zum Herstellen von Wundsalben und Pflastern – bei denen auch selbsthaftende und kühlende Pflaster beschrieben werden – sowie diverse Tränke – endet der Admonter Bartholomäus mit vielen sehr kurzen Rezepten zu unterschiedlichen Leiden.

Verfasser: Wolfgang Holanik

 

Quellenverzeichnis

Handschriften

Admont, Stiftsbibliothek, Cod. 329

Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. pal. germ. 644

Literatur

Bergmann, Heinz-Jürgen: ‚Also das ein mensch zeichen gewun‘. Der Pesttraktat Jakob Engelins von Ulm. Bonn: Univ., Diss. 1972. (=Untersuchungen zur mittelalterlichen Pestliteratur. 2.)

Keil, Gundolf: Bartholomäus. In: ²VL 1 (1978), Sp. 609-615.

Pfeiffer, Franz: Zwei deutsche Arzneibücher aus dem 12. und 13. Jahrhundert. Mit einem Wörterbuche. In: WSB 42 (1863), S. 110-200.

Priebsch, Robert: Deutsche Prosafragmente des XXI. Jahrhunderts II: Bruchstücke der sogenannten Practica des Meister Bartholomaeus. In: The Modern Language Review 11 (1916), H. 3, S. 321-334.

Schnell, Bernhard: Die deutsche Medizinliteratur im 13. Jahrhundert. Ein erster Überblick. In: Eine Epoche im Umbruch. Volkssprachliche Literalität 1200-1300. Cambridger Symposium 2001. Hrsg. von Christa Bertelsmeier-Kierst und Christopher Young unter Mitarbeit von Bettina Bildhauer. Tübingen 2003, S. 249-266.

Tesch, Anna Maria: Der „Admonter Bartholomäus“ (Cod. 329): Teiledition mit elektronischer Basistransliteration und ‚dynamisch’ abgeleiteter Lesefassung. Graz, Dipl.-Arb. 2007.

Wardale, Walter: Der Hochdeutsche Bartholomäus. Kritisch-kommentierter Text eines mittelalterlichen Arzneibuchs auf Grund der Londoner Handschriften Brit. Mus. Add. 18,892, Brit. Mus. Arundel 164, Brit. Mus. Add. 17,527, Brit. Mus. Add. 34,304. Hrsg. von James Follan. London 1993. ffff

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